Wagen wir es? Gedanken zu Ostern 2021

Wagen wir es?

Gedanken zu Ostern 2021

Auferstehung war und ist immer präsentisch als eine wesentliche Wandlung, als Neugeburt im Sinne von „Stirb und werde“ zu verstehen. Dass sie von der Kirche instrumentalisiert und -wie die Mohrrübe vor dem Esel - in die Zukunft verlegt und als Machtinstrument benutzt worden ist, ist eine andere Geschichte. 

Bis zum Ende des Mittelalters gab ebitte korrigieren? s neben der endzeitlich ausgerichteten Deutung, die als die „anagogische“ Bedeutung der Schrift bezeichnet wurde, noch die „historische“, die „allegorische“ und die "moralische". Letztere deutete das Osterereignis präsentisch, weil sie nach der Bedeutung von Christi Tod und Auferstehung für das Leben des jeweiligen Menschen fragte. 

Diese Frage behielt ihre Aktualität bis heute. In der Tat könnten wir heute in der Osterbotschaft einen ganz entscheidenden Wegweiser für den Weg aus der heutigen globalen Krise finden. Der Weg wird auch im uralten Thomas-Evangelium angedeutet. 

„Das Reich ist vielmehr in eurem „Innen“ und eurem „Außen“.

Wenn ihr euch (Selbst) erkennt, dann werdet ihr erkannt werden.“ 

Das Zitat spricht von einer wesentlichen Erkenntnis, die nur dann möglich ist, wenn die damals wie heute herrschende Antithetik von Verstand und Sinnen überwunden wird. Dann betrachtet der Mensch die Wirklichkeit nicht nur vom Verstand, sondern auch vom Herzen aus. Während dem Blick vom Kopf aus die Außenwelt und die Oberflächen der Dinge zugänglich sind, dringt der Herzensblick durch die Oberflächen der Dinge hindurch. Er ist im Innenraum zuhause. Wie ein Zauberstab öffnet er von dort aus alle Pforten, berührt und verwandelt die Wirklichkeit. Wer es schafft, beide Sichten zu vereinen, der erkennt, was er kennt. Die innere Wahrnehmung sorgt für das „er“ der Erkenntnis. Das Leben muss erfühlt und sinnlich erlebt werden, um den Sinn dessen, was wir mit dem äußeren Blick sehen, überhaupt einzusehen. 

Das „er“, das „ver“, das „be“ bedeuten dasselbe wie das „trans“ der Transformation. Sie stehen für die Wandlung, die sich in den zauberhaften Zwischenräumen zwischen Außen und Innen, Materie und Geist, Erfahrung und Vision ereignet und die dem, was wir sehen, Sinn gibt. Durch die Besinnung, durch die Verinnerlichung unserer Taten bekommen wir wesentliche Einblicke in die Natur der Dinge und in unser eigenes Wesen. Diese Einblicke ermöglichen ganz neue Ausblicke, die wiederum in Innern verankert und verarbeitet werden, um - erneut herausblickend - die Dinge in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.

So sorgt das Herz wie ein guter Pingpong-Trainer für ein ausgewogenes Spiel zwischen den Polen, indem es beide Spieler fördert, die Spielqualität steigert und den Spielern dadurch bewusst macht, dass es um die Qualität des Spiels und nicht um das Gewinnen geht, das das Spiel jäh zu Ende brächte. So begreifen die Spieler, dass sie einander brauchen, und lernen, einander zu bejahen. Äußere und innere Berührung brauchen einander, und das ist immer berührend, weil das Herz einfach berührt. Das Herz kann Perspektiven wechseln, wirkt integrativ und verwandelt uns selbst und unsere Wirklichkeit. Die Erschließung der Welt beginnt von hier aus. 

Dem Blick vom Kopf her bleibt der Innenraum verschlossen. Er schert im Namen der Objektivität alles über einen Kamm und unterwirft alles seinem eigenen Maß. Seine Perspektive ist einseitig. Er besinnt sich nicht, sondern benutzt die Sinne, um mit ihnen alles, was er von oben her sieht, zu beherrschen. Er berührt nicht und lässt sich auch nicht berühren. Vom Abstand her betrachtet er die Dinge, lässt sich auf kein Gespräch ein und trachtet ausschließlich nach Macht. So unterwirft der Allmächtige des Alten Testaments mit seinem allsehenden Auge die Wirklichkeit und beherrscht alles, was er sieht.

Seine Sichtweise übernahm der neugeborene Renaissance-Mensch und richtete sie in die Waagrechte aus. Wir sind seine Nachfolger. Der Blick des allmächtigen Subjekts, das alles mit seinem Blick per se unterwirft, ist uns so eigen geworden ist, dass wir ihn nicht reflektieren, sondern als die einzig natürliche und wahre Perspektive betrachten und deshalb auch allen anderen Kulturen aufzwingen.

Anders Christus. Indem er sich auf die Sicht der Allmacht überhaupt nicht einließ, sondern vollkommen im Herzen anwesend war, konnte ihn die unfassbare geistige Allmacht nicht bestimmen und beherrschen. Im Gegenteil, in seinem Herzen verwandelte er sie in pure Liebeskraft, und wurde dadurch zu einem vollkommenen „Transformator“, der die reine geistige Kraft materialisierte und Blinde sehend machte. Als vollkommener Mensch und vollkommener Gott – Geist und Körper zugleich, verkörperte er den Weg, der aus fortwährender Wandlung bestand. 

So gesehen verkörperte er das Leben als Transformation, die einfach geschah, weil er mit dem Herzen sah. 

Mühelos wechselte er Perspektiven, bejahte seinen „vorhandenen“ Vater, der Zimmermann war, sprach von seinem geistigen Vater und war in den Zwischenräumen der Wandlung vollkommen zuhause. Die Allmacht konnte ihm nichts anhaben, weil er sich nicht auf ihre Perspektive einließ. Er blieb einfach im Herzen anwesend. Wer mit dem Herzen sieht, nimmt das wahre Wesen der Wirklichkeit wahr und verwandelt die zerstörerischen Potenziale der Macht in lebensbejahende Energie. 

Würden wir uns mehr auf unsere eigene Geschichte einlassen, würden wir uns besser verstehen. Wir würden begreifen, dass die antike Antithetik durch unsere jüdisch-christliche Kultur absolute Maße angenommen hat und vollkommen unversöhnlich und lebensvernichtend geworden ist. Solange wir uns auf das Machtprinzip einlassen und es fixieren – sei es durch Bejahung oder Angst – halten wir uns selbst im Schach und die Macht hat uns im Griff und wir sind gezwungen, ihre Sprache zu sprechen. Darin ist die Allmacht aber geübter und wir bleiben ihr deshalb immer unterlegen. Außer wir wagen es ja, den stolzen Sitz des hochmütigen menschlichen Verstands zu verlassen, das Herz zu öffnen und bereit sein, uns und die Wirklichkeit verwandeln zu lassen. 

Ostern hat mit der transformativen Kraft des Herzens zu tun. Und mit den großen Dimensionen, in die wir eingebunden sind. Es ist an der Zeit, den göttlichen Geist aus der Gefangenschaft im Kopf frei zu lassen, ihn im Herzen zu empfangen, seine Kraft dort zu verwandeln und ihn zu verkörpern. Dafür steht, was wir denken und fühlen. Solche Verwandlungsprozesse geschehen nur selten ohne Schmerzen. Oft ist es ein inneres Sterben, eine Höllenfahrt. Was uns nach der Höllenfahrt winkt, ist die Auferstehung. Neugeburt. Wie sie geht, haben uns Maria und Christus vorgemacht. Wagen wir sie?